Wohin mit der Angst, wenn sie sich wie schwarze Girlanden über die Tage und Nächte legt? Die Potsdamer Autorin Grit Poppe erzählt von einem Angstfresser, der mit seinen Saugnäpfen die dunklen Gedanken aus dem Blut ziehen kann. Der Leser spürt ihn fast selbst, diesen Vampir, der mit jedem Zug das Seelengift aus dem Körper schlürft. Wie bei Mira. Der Schuss in ihrem Kopf wird allmählich leiser. Er wurde 1986 von einem Grenzsoldaten auf das 15-jährige Mädchen abgefeuert. In Klein Glienicke, der eingemauerten Idylle, in der der Schrebergarten neben dem Todesstreifen liegt. Die Kugel schlägt fehl. Doch noch Jahrzehnte später ist sie zu hören: bei Mira und auch bei Hans, dem sie über die Mauer folgen wollte. Und der sie zurückließ. Grit Poppes neuer Roman „Angstfresser“, den sie am Donnerstag in der Villa Quandt vorstellt, seziert messerscharf die Vergangenheit, erzählt aber auch von neuen Ängsten, die mit den alten einen Gespenstertanz der Albträume aufführen.
Dieses Buch wühlt auf, packt zu, ist wie ein Politthriller auf der Bühne Potsdams. Der Schuss in Klein Glienicke setzt sich indes fort, führt nach Peking zum Platz des Himmlischen Friedens, nach New York zu den Twin Towers.
Überall auf der Welt gibt es Schüsse, Ängste. Miras Angst plustert sich in der Nacht wie ein hässlicher Truthahn auf. Sie lässt sich auf die uralte, neu belebte Heilmethode ein, die ihr eine Chinesin empfiehlt, auf den Hirudo Timor. „Ich will töten. Die Angst töten. Jedes Mittel ist mir recht. Auch ein Vampir auf meinem Leib“, sagt Mira.
Mit ausufernder Begeisterung malt Grit Poppe Alpträume, surreale Bilder: Es wimmelt im Kopf von Mira nur so vor Halluzinationen. Ich selbst schweife beim Lesen gedanklich ab. Auch für mich verschwimmt Reales und Geträumtes. In welcher Welt sind wir gerade unterwegs in diesem düsteren Heimatroman?
Doch Grit Poppe führt sprachgewaltig immer wieder zurück zu ihren Handlungssträngen, in dem sie die Geschichten von Hans und Mira geschickt verschränkt. Sie greift vor und zurück, stellt die beiden mitten hinein in die Lügen der Welt. Und der Morde. Der Vater der chinesischen Heilerin wird getötet. Im fernen Peking. Er hat die Vampire gezüchtet: für Menschen, die aus chinesischen Lagern kamen. Sie zeigten ein paar Monate später keine Angst mehr vor der Staatsführung und der Kommunistischen Partei.
Sie trugen den Angstfresser spazieren und verloren ihre Furcht. Die Machthaber sorgten sich um ihre Macht.
Mira fragt sich am Ende: „Was ist, wenn die Angst mein Ich schon gefressen hat? Was bleibt von mir übrig, wenn der Hirudo die Angst frisst?“ (hei)
Buchpremiere: Grit Poppe „Angstfresser“ am Donnerstag, den 20. Februar, um 20 Uhr, in der Villa Quandt, Große Weinmeisterstraße 46/47, Karten unter 0331 / 2804103, Eintritt: 8 / 6 €. Der Roman ist im Mitteldeutschen Verlag erschienen und kostet 20 Euro
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